RE:GENERATION DEMOKRATIE

Gewisse Berührungsängste zwischen Generationen sind gefühlt fast so alt, wie die Menschheit selbst. Gibt es doch teilweise erhebliche Unterschiede: Sprache, Kleidungsstil, Interessen, Ziele – die Liste könnte man beliebig erweitern. Die Frage, die mich zu diesem Text veranlasst: Wie gehen wir mit diesen Unterschieden um?

Über die Generationen.

Bevor es richtig los geht: Mein Name ist Stefan Wolf und ich bin Jahrgang 1986. Menschen meines Alters (Jahrgang 1980 bis 1995) zählt man zu der Kohorte der Millennials – auch bekannt unter Generation Y, oder kurz auch Gen Y. Der Buchstabe Y wird ausgesprochen, wie englisch why („warum“), was auf eine für unsere Altersgruppe charakteristische Neigung zum Hinterfragen hindeuten soll. 🙄

Vor meiner Generation gibt es die Generation X (Jahrgang 1965 bis 1979) und davor die Baby Boomer (Jahrgang 1946 bis 1964). Wer sich schon immer gefragt hat, woher der Ausdruck: Okay, Boomer! stammt… gern geschehen! Nicht zu vergessen, die Silent Generation (Jahrgang 1928 bis 1945).

Wenn wir uns in die entgegengesetzte Richtung, also in die Zukunft, bewegen, kommen nach meiner Generation die Zoomer, Generation Z, oder kurz Gen Z (Jahrgang 1996 bis 2010). Auch wenn ich es ungern zugebe, aber wenn man heutzutage von der Jugend spricht, meint man vermutlich die Gen Z. Danach käme noch die Generation Alpha (Jahrgang 2010 bis 2025), aber ganz vielleicht können wir die Kinder ja auch erst einmal Kinder sein lassen 😉

Quelle: Wikipedia

Der folgende Text ist also aus meiner Perspektive, der eines Millennials, verfasst. Der Einfachheit halber, arbeite ich (etwas widerspenstig) mit zwei Seiten: jung und alt. Mich selbst zähle ich zu der Seite der Älteren. Im Kontext Generationen von zwei Seiten zu schreiben, die sich gegenüberstehen, missfällt mir zwar, aber wäre dies nicht der Fall, könnte ich mir diesen Text vermutlich sparen. Bleiben wir also vorerst beim Zwei-Seiten-Modell, aber Spoiler-Alarm: Nichts ist in Stein gemeißelt 😉

Eine oft gestellte Frage der Älteren:

Ja, wo ist denn eigentlich die Jugend?

Zitat: Menschen fortschreitenden Alters

Eine interessante Frage.

Versuchen wir, diese Frage ganz direkt zu beantworten.

Zur Erinnerung:
Tagsüber befinden sich die meisten Jugendlichen in Gebäuden, die wir landläufig als Schulen (früher Lehranstalten) bezeichnen. Dort werden sie, so gut es Lehrplan und Lehrkörper hergeben, auf das (Arbeits-)Leben vorbereitet. Dies ist relativ zeitintensiv und mit unzähligen (unbezahlten) Überstunden – im Fachjargon auch Hausaufgaben, Prüfungsvorbereitung, etc. genannt – verbunden. Daher ist es relativ schwer (aber nicht unmöglich) Jugendliche während des Tageslichts an anderen Örtlichkeiten anzutreffen.

Hätten wir somit schon einen Großteil des Wo geklärt?
Wer sich außerhalb der jugendlichen Kernarbeitszeit mit offenen Augen durch unsere Stadt bewegt, sollte in regelmäßigen Abständen sogar einzelnen oder mehreren sogenannten Heranwachsenden begegnen. Sportplätze – im Speziellen – oder Orte, die halbwegs einen Aufenthalt ermöglichen – im Allgemeinen – sind ein weiterer Anlaufpunkt, um Jugendlichen begegnen zu können. Dort gehen sie ihren Hobbies nach oder versuchen, etwas vom Alltag abzuschalten.

Oberflächlich betrachtet haben wir also beantwortet, wo sich die ganzen Jugendlichen aufhalten (könnten).

Spaß beiseite. Vielleicht ist die Ausgangsfrage absichtlich unpräzise und provozierend formuliert. Vielleicht ist mein erster Erklärungsansatz ebenso nicht frei von Provokation und einem Augenzwinkern. Keine Sorge, der Rest des Textes wird konstruktiver. Versprochen! Die Frage „Ja, wo ist denn eigentlich die Jugend?“, zielt aber auf eine weitere – tiefere – Ebene ab.

99 Problems.

Auch wenn es uns schwer fällt zuzugeben:
Wir älteren, stehen vor großen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt.

Gerade jetzt, während ich diesen Text schreibe, haben wir Krieg in Europa. Ausgelöst von einem Mensch, der für seinen Angriffskrieg die Demokratie so weit ausgehöhlt hat, dass von Demokratie keine Rede mehr sein kann. Gerade wir in Deutschland sollten ganz genau hinschauen, da dieses Szenario allen, die halbwegs im Geschichtsunterricht aufgepasst haben, bekannt vorkommen dürfte.

Menschen muslimischen und jüdischen Glaubens werden in Deutschland diskriminiert und leben teilweise in Angst sich offen zu ihrem Glauben zu bekennen. Es gibt versteckten und offenen Rassismus.

In unserem Bundestag sitzt eine in Teilen rechtsradikale Partei, die mit den Mitteln der Demokratie selbige nur zu gerne abschaffen würde – wenn man ihnen nicht entschieden entgegentritt.

Und das sind exemplarisch „nur“ drei Probleme von vielen, die uns selbstverständlich unterschiedlich nahe gehen, weil auch unterschiedlich stark betreffen.

Vom Feeling her…

Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber ich kann jeden verstehen, dem das alles Sorgen bereitet oder sogar das Gefühl der Angst hervorbringt.

Die Frage „Wo ist eigentlich Die Jugend?“ könnte man also anklagend, vielleicht sogar wütend, interpretieren. „Warum lasst ihr uns mit all den Problemen alleine?“ Es schwingt eine gewisse Macht- oder Hilflosigkeit mit. Schnell drängt sich der Vorwurf von Desinteresse und der berühmt berüchtigten Politikverdrossenheit „unserer“ Jugend nahezu auf. Der Ärger wächst: „Es geht euch Jugendlichen doch genauso an!“ Die Wutspirale dreht sich weiter: „Ihr denkt immer nur an euch und daran Spaß zu haben! Sind wir euch egal?“

Okay, puh. Versuchen wir (älteren) uns etwas zu beruhigen und die Sache noch einmal wohlwollender neu aufzurollen. Sind wir Erwachsenen und „unsere“ Probleme den Jugendlichen egal? Interessieren sich die Jugendlichen nur für sich? Gegenfrage: Interessieren wir Erwachsenen uns vielleicht im Gegenzug überproportional nur für – Erwachsene? Haben wir Erwachsenen den Dialog mit den Jugendlichen gesucht? Und vor allem gefunden? Nein? Warum kam kein Dialog zustande? Warum läuft es meistens auf einen Monolog von uns Erwachsenen heraus? Warum hat man, wenn überhaupt, nur über die Jugendlichen geredet? Warum hat man nicht mit ihnen geredet? Und vor allem – warum hört man ihnen so selten zu?

Machen wir ein Gedankenspiel:

Die nächste Demo unseres Bündnisses wird nahezu ausschließlich von Jugendlichen organisiert und durchgeführt. Sie erzählen aus Ihrer Perspektive und vertreten ihren Standpunkt. Es werden unzählige Kinder und Jugendliche erscheinen – vielleicht sogar mehr, als alte Menschen.

Ein Gedankenspiel

Wäre das nicht schön?

Gehen wir davon aus, das passiert am 27.04.2024 um 15:00 Uhr am Marktplatz in Gaggenau. Hören wir dann zu? Das sollten wir.

Wir sollten anfangen uns ehrlichen Herzens dafür zu interessieren, was andere Generationen bewegt. Keine Sorge, dies funktioniert wunderbar in beide Richtungen. Keine Einbahnstraße weit und breit. Mit unserer Demo RE:GENERATION DEMOKRATIE möchten wir Generationen miteinander verbinden. Organisiert und durchgeführt wird unsere Demo dieses Mal komplett von SchülerInnen und Auszubildenden (-vertreterInnen).

Im besten Fall können so alle Generationen voneinander lernen, was Unterschiede sein können. Viel wichtiger aber auch: Was sind unsere Gemeinsamkeiten? Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Und was hat dieser Nenner mit Demokratie zu tun? 😉

Im Fluss der Zeit.

Wir Alten haben eine gewisse Erwartungshaltung an die Jugend: Sie sollen lernen und fleißig sein, sich engagieren und auf uns Erwachsene hören. Fair Play – fördern und fordern. Aber im Gegenzug müssen wir auch etwas anbieten: Neben der Erfahrung, die wir zweifelsohne haben ist das wertvollste, was wir anbieten können: Verständnis. Um Verständnis entwickeln zu können, bedarf es aber des Dialogs. Ohne Dialog kein Verständnis – ohne Verständnis kein Abbau von Berührungsängsten.

Es hilft niemandem, wenn wir nur fordern. Aus unserer Perspektive sagt es sich leicht: „Macht mal mehr! Wo seid ihr alle?
Die meisten von uns haben mittlerweile ein stabiles Leben mit geregeltem Einkommen, einige mit abgeschlossener Familienplanung, auf die Rente hinarbeitend oder sogar schon genießend. In so einem Lebensabschnitt verändert sich nicht mehr ganz so viel und man kann auf eine gewisse (Lebens-) Erfahrung zurückgreifen. Natürlich gibt es in jedem Lebensalter unvorhergesehenes – Gutes wie Schlechtes, aber die meisten von uns haben sich ihr Nest gebaut und es sich darin bequem gemacht.

Alles auf Anfang.

Den Jugendlichen steht dies alles noch bevor. Zuallererst müssen sie im Gegenzug in der Schule funktionieren, damit sie später im Job funktionieren. Versuchen wir uns in sie hineinzuversetzen. Achtung – die nächste Fahrt im Gedankenkarussell geht rückwärts ohne Licht: „Hatte ich genug Zeit, um mich für die Prüfung vorzubereiten? Ich muss doch später studieren, jeder studiert heute! Welchen Job kann ich danach machen? Gibt es den dann überhaupt noch, wenn ich fertig bin, oder hat ihn mir künstliche Intelligenz weggeschnappt oder der Klimawandel zerstört?

Und das sind „nur“ einige der Zukunftsängste. Sollen wir noch die soziale Komponente beleuchten? Kinder und Jugendliche sind neben ihren ganzen Verpflichtungen vor allem damit beschäftigt Anschluss zu finden, irgendwo rein zu passen, gemocht – vielleicht sogar geliebt zu werden. Unter uns: Ich spreche da aus Erfahrung. In „unserem“ Alter haben die meisten von uns einen etablierten Freundes- und Bekanntenkreis.
Wenn ich an früher zurückdenke, tat es weh, wenn man nicht so beliebt war. Manche wurden von uns wurden sogar ausgegrenzt oder gemobbt. In diesem Alter werden neben der ganzen schulischen Bildung auch die – von Chefs heiß und innig geliebten – Soft Skills erlernt und gefestigt. Der Bewerber soll bitte aber auch teamfähig sein! Ja? Danke! Diese soziale Kompetenzen müssen, wie vieles im Leben, erst erlernt werden. Und Lernen erfordert Zeit und Raum für Fehler. Geben wir ihnen diese Zeit, auch wenn sie vermutlich vielen von uns früher nicht gewährt wurde.

Und jetzt?

Das war jetzt ganz schön viel Meinung, angereichert mit ein paar Fakten zu Beginn. Zum Abschluss meines Textes noch ein eindringlicher Appell meinerseits: Unterschätzen wir die Jugend nicht. Ihnen mangelt es weder an Ideen, noch an Tatendrang. Auch das oft strapazierte Argument der fehlenden Erfahrung lassen wir ab sofort nicht mehr gelten. Wir wollen, dass die Jugendlichen etwas leisten? Dann geben wir ihnen um Himmels willen Verantwortung. Hören wir ihnen zu, nehmen sie ernst – dann wird uns im Gegenzug das Gleiche widerfahren. Wir haben es nicht mit Außerirdischen zu tun, sondern mit jungen Menschen. Das sind wir doch selbst auch mal gewesen. Und wenn wir wirklich ehrlich zu uns sind, sind wir doch alle Kinder im Körper eines Erwachsenen und wissen auch nicht zu jederzeit was wir tun – verhalten uns aber so. Wir alle, nicht nur die Generation Y, sollten genau dieses Verhalten hinterfragen. Kehren wir uns von einem Nebeneinander (oder sogar Gegeneinander) ab und bewegen wir uns aufeinander zu, zu einem Miteinander. Reden wir statt übereinander – miteinander.

Und was hat das alles mit DEMOKRATIE zu tun?

Indem wir unser aller Nachwuchs mit einbeziehen, stärken wir eine nachwachsende Generation, die an Demokratie interessiert ist und sie lebt.

Denn nur was gesund ist und bei Bedarf neue Triebe wachsen lässt, geht nicht irgendwann ein. Pflegen wir also generationenübergreifend unsere Demokratie – damit sie auch in Zukunft gesund bleibt und wo es notwendig ist, nachwächst.

Letztendlich sorgen wir uns alle um die DEMOKRATIE, also sorgen wir generationenübergreifend für eine REGENERATION selbiger.